Dienstag, 13. Dezember 2011

13. Dez – Public Parts


Mit '"Public Parts: How Sharing in the Digital Age Improves the Way We Work and Live"' hat Jeff Jarvis eine zu Teilen sehr spannende Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatsphäre verfasst, die sich überraschenderweise deutlich vom seinem vorangegangenen Buch 'What Would Google Do' (WWGD) abgegrenzt.

Public Parts liefert einige sehr gute Antworten auf Fragen nach Öffentlichkeit und Privatsphäre im sozialen Internet. Man muss nach diesen Antworten suchen, aber wer sich die Mühe macht und sich von teilweise sehr ausführlichen historischen Beschreibungen nicht abschrecken lässt, findet sehr inspirierende Vorschläge zum privaten und beruflichen Umgang mit Informationen im 'Zeitalter von Transparenz und Öffentlichkeit'.

Wie erwartet, sieht sich Jarvis, der sehr große Teile seines Privatleben online zur Schau stellt, dabei nicht als Fürsprecher von mehr Privatsphäre, sondern als konstruktive Gegenkraft für mehr Öffentlichkeit

Hier sind einige interessante Gedanken von Jarvis aus “Public Parts”:

  • Ein öffentliches Leben war in der Historie  ein Privileg weniger Begüterter. (Daher die britische Bezeichnung “public school” für Privatschule. Diese Schulen war den Privilegierten des öffentlichen Lebens vorbehalten.) Es geht inzwischen manchmal unter, dass das demokratische Privileg von jedem sich öffentlich zu äußern in der Geschichte erst erstritten werden musste – und noch längst nicht überall in der Welt verwirklicht ist.


  • Öffentlichkeit ist die Grundvoraussetzung von Fortschritt. Nur wenn Ideen sich mischen können, anstatt im eigenen Saft zu schmoren, entsteht etwas grundlegend Neues. Zum Beispiel die Teflonpfanne, die endoskopische Kamera (Abfallprodukte der Raumforschung und der Militärtechnik) oder die öffentlichen Antworten und Retweets bei Twitter (die SMS-Plattform wird zur Informationsplattform). Oft sind es nicht die Erfinder, sondern die Nutzer, die das eigentliche Potenzial einer Erfindung erkennen.


  • Wir sollten aufhören ständig in der Kategorie “es könnte etwas Schlechtes passieen” zu denken, wenn wir uns in die Öffentlichkeit begeben. Es könnte auch etwas Gutes passieren. Aber das finden wir erst heraus, wenn wir unseren inneren Regler für  “öffentlich” versus “privat” nicht voreingestellt auf “privat” stehenlassen. Eine Nutzen-Risiko-Rechnung kann in manchen Situationen durchaus dazu führen, freiwillig mehr Daten von sich preiszugeben als unbedingt nötig.


  • Nicht immer ist der (vor allem deutsche) Reflex nach möglichst geringe Preisgabe von Daten und möglichst rigider Datenkontrolle zielführend. Ein drastisches Beispiel: Jarvis selbst bekam viel Unterstützung, weil er intime Details über seine Prostatakrebs-OP und die daraus resultierenden Folgen öffentlich machte. Die plakativen Schilderungen hätten dazu beigetragen, dass mehr Männer ihre Scheu vor dem Thema ablegen und rechtzeitig Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen, glaubt Jarvis.


  • Ein öffentliches Leben vieler im Netz führt zu neuen Interessensgruppierungen, Kollaboration und unerwarteten relevanten Entdeckungen (“serependity” im Englischen).
    Ein Nichtwissen oder eine Überforderung einzugestehen, ist kein Zeichen der Schwäche mehr, sondern der Stärke. Ohne die aktive Mithilfe Tausender von Nutzern hätte der britische “Guardian” 2009 niemals eine halbe Million Dokumente zum Spesenhausskandal seiner Unterhaus-Abgeordneten aufbereiten können – Startschuss für eine fruchtbare Zusammenarbeit auf der Basis von Offenheit und Transparenz bei mittlerweile vielen Datenprojekten.


  • Jarvis sieht Offenheit als Basis für die meisten Lebensbereiche. Nur bei politischen Entscheidungsprozessen kann er sich “public” als Grundeinstellung nicht so recht vorstellen. Zu sehr seien es immer noch die Massenmedien, deren Mechanismen und Wirkungskraft sich Poliker unterwerfen. Allerdings war sein Buch schon im Druck als in Berlin die Piratenpartei fast neun Prozent der Stimmen holte – mit radikal offenen politischen Entscheidungswegen.


Fazit: Public Parts ist ein ideenreiches Buch, das größtenteils spannend zu lesen ist, kritische Fragen zum eigenen (oft negativen) Verständnis von Öffentlichkeit und Privatsphäre anregt und im privaten und beruflichen Umgang mit Informationen hilfreiche Orientierungspunkte liefert.

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